Lene ist im Stress, ihr Tisch voller Arbeit, da kommt die Kollegin ins Büro und fragt, ob Lene nicht noch eine Aufgabe von ihr übernehmen könne. Die Kollegin habe einen wichtigen Termin und schaffe es heute nicht mehr. Lene überlegt kurz und dann hört sie das JA ihrem Mund entgleiten. Die Kollegin lädt ihre Arbeit ab und Lene weiß, dass ihr jetzt noch Überstunden bevor stehen.
Als Lene am Abend erschöpft auf ihren Sessel fällt, schaut sie noch eine kleine Runde durch ihr Handy. Dabei entdeckt sie, dass ihre Kollegin Bilder von einem tollen Nachmittag mit Freunden gepostet hat. Lene ist enttäuscht, dass sie wieder einmal ausgenutzt wurde. Dann erinnert sie sich wieder daran, dass die Kollegin ihr erst kürzlich ein NEIN zurief, als sie um Hilfe bat. Wieder einmal mehr nimmt sie sich vor: Das nächste Mal sage ich auch NEIN.
JA-Sager lernt NEIN zu sagen
Ich sage immer noch viel zu oft: JA.
Warum das so ist, dass kann ich in der Tiefe noch nicht beantworten. Ich bin schon länger auf Spurensuche und komme dem Grund langsam näher.
Ein Grund ist, dass ich es jedem recht machen möchte. Quasi immer gefallen wollen und Diskussionen und Rechtfertigungen aus dem Weg gehen. Aber eine meiner Lieblingsfrauen, Karin Kuschik, sagt: „NEIN. ist ein ganzer Satz.“ Es bedarf hier keiner Rechtfertigungen oder Entschuldigungen.
Ich darf mich selbst schützen und Grenzen setzen. NEIN, ist da ein gutes Instrument.
Ein weiterer Grund ist die Scheu vor dem NEIN und die im Kopf entstehenden Filme, was könnte passieren, wenn ich NEIN sage.
Auch wenn ich weiß, dass von all den Szenarien im Kopf vermutlich nicht eine passiert, ist der Gedanke daran doch mächtiger als der Versuch es darauf ankommen zu lassen.
Ich habe mir als Aufgabe gesetzt, das NEIN sagen zu üben. Auf meinen Bauch zu hören und den Verstand auch mal abzuschalten. Inzwischen klappt dieses Vorhaben schon ganz gut. Noch längst nicht so umsetzungsstark wie gewünscht, aber es sind keine 100 % JA mehr. Das ist schon ein starkes Zwischenziel.
Wenn mein Gegenüber weiß, dass ich für ein JA zu haben bin, wird er oder sie es auch nutzen. Oft sind es meine Emotionen, die angesprochen werden. Ich möchte der anderen Person helfen und hinterfrage die Gründe nicht.
Ich darf lernen, mich abzugrenzen und mich zu schützen.
Ein NEIN ist vollkommen in Ordnung. Es bedarf keiner Begründung, sondern lediglich ein starkes ICH, dass zu sich steht.
Ein NEIN zum Gegenüber ist ein JA zu mir.
Es geht mir nicht darum zu allem NEIN zu sagen und ein NEIN-Sager zu werden, sondern es geht um Abgrenzung.
Ich möchte einfach nicht mehr ständig die Arbeit der Anderen machen, während sie sich auf mich und meine Arbeit ausruhen. Jeder darf sein eigenes Zeit- und Aufgabenmanagement haben. Wer Aufgaben nicht schafft, weil die Prioritäten falsch gesetzt sind oder das Zeitmanagement nicht passt, der darf und muss selbst lernen, dass sich etwas ändern muss.
Wer den Tisch voll Arbeit hat und einfach mal (m)eine Unterstützung braucht, darf natürlich auch weiterhin auf mich zählen. Ich darf lernen zu unterscheiden zwischen:
- Wer braucht gerade wirklich meine Hilfe?
- Wer nutzt gerade einfach nur meine Bereitschaft zur Unterstützung aus?
- Wer hat sich und seine Aufgaben nicht im Griff und benötigt eigentlich ganz andere Hilfe?
Bei der letzten Gruppe helfe ich nicht wirklich mit einem JA, denn das Hauptproblem dieser Person ist mit der Erledigung der Aufgabe durch mich nicht behoben.
Eine kleine Geschichte
Ich kannte mal eine Person, nennen wir sie Horst, die nicht gut mit Geld umgehen konnte. Ständig war die Kasse vor Ende des Monats leer.
Horst wollte sich etwas kaufen und brauchte dafür 50 €. Da die Kasse diesen Monat schon leer war, fragte Horst einen Freund nach Unterstützung, aber dieser sagte NEIN.
Ich war etwas überrascht und hinterfragte das NEIN. Der Freund erklärte mir, dass er mit Geld nicht helfen würde. Denn dadurch würden die Schulden von Horst größer werden. Okay, mir war klar, was er meinte, aber ich verstand es noch nicht so recht.
Der Freund sagte: Nehmen wir an, Horst hat monatlich 400 € zur Verfügung. Dann würde ich nächsten Monat bereits 50 € erhalten, somit hätte Horst nur noch 350 € zur Verfügung.
Da Horst aber nicht gut haushalten könne, wird er mich nächsten Monat vielleicht wieder um 50 € oder diesmal vielleicht auch 70 € anfragen. Somit schmälert sich sein Monatsbudget weiter. Ich helfe ihm nur, wenn er lernt, mit den 400 € umzugehen. So wie auch wir lernen, mit unserem Geld zu haushalten.
Ich helfe Horst sinnvoller, wenn ich ihm zeige, wie er besser mit seinem Geld umgehen kann.
Fazit
Ein NEIN kann uns helfen, uns abzugrenzen und uns selbst zu schützen.
NEIN heißt nicht, dass wir jemanden nicht mögen. (JA, aber auch nicht.)
Nicht jedes JA hilft auch wirklich dem Gegenüber.
Wir dürfen helfen, wenn wir auch wirklich dem Gegenüber helfen oder entlasten.
Meine Gedanken gingen heute vorrangig in den beruflichen Kontext und nicht in den alltäglichen Kontext.
Sehr schön verdeutlicht, liebe Gudrun! Das wichtigste ist: ein „Nein“ zu jemand anderem ist ein „Ja“ für mich! Gut gefallen hat mir auch die Geschichte von der Hilfe zur Selbsthilfe auf vielleicht unerwartete Weise – die nämlich manchmal ein „Nein“ bedeutet. Vielen Dank und viele Grüße Ulla
Vielen lieben Dank für deine Worte.